Die Verlängerung des Markts in den Abend hinein

Die Verlängerung des Markts in den Abend hinein

Blumenbar

München, 2006

262 Seiten

Die Figuren in Hans-Peter Kunischs Debüt halten sich vor allem im Freien auf, um einen kleinen Platz auf einem großen Markt herum. Der Platz liegt ziemlich genau im Zentrum der Stadt. Doch die Hauptwege des Markts führen an ihm vorbei. Er wirkt, mitten in der Stadt, wie ein unbesetztes Gebiet am Rand. Auf ihm entwickelt sich ein „Roman in Buden“.

Da ist Pjotr, ein Fotograf, der am liebsten Richtung Nordosten reist. Maria, die keine Aufenthaltsgenehmigung hat und an die Stadt gefesselt ist. Oder Waldau, der sich oft ins hügelige Umland zum Wandern zurückzieht. Joe, einer der Händler, muss vor seinen Gläubigern fliehen. Aline schickt Briefe von der Küste. Allesamt sind sie so etwas wie unabhängige Glückssucher. Wohin es sie auch verschlägt, sie kehren immer wieder an den Platz zurück.

Was anfangs beinahe paradiesisch wirkt, erfährt bald Wendungen ins Dunkle. Irgendwann ereignet sich ein Mord. Beobachtet wird das Geschehen von zwei Denkern, dem Traurigen und dem Lustigen, die in luftigen Höhen über dem Platz ihre Runden drehen. Aber sie sehen nicht alles, und philosophisch gesehen haben sie erstaunlich wenig zu bieten. Die heimliche Intellektuelle des Romans ist Rosa – eine Kuh, die gleich zu Beginn dieser Geschichte über Kunst sinniert.

Rezensionen

Das leuchtet ein: der Markt als Welt en miniature, als Modellschauplatz für Begegnungen, Schicksalsfügungen, tragikomische Storys. (…) Linear, in der Geraden, spielt sich hier nichts ab, vielmehr in konzentrischen Kreisen, in Wellen und Strudeln. Jeder Passant trägt sein Leben über den Markt. Und mit den Figuren dehnt sich im Laufe der Handlung auch der Markt aus, wer immer wieder länger dableibt, dem folgt die Geschichte in die Vergangenheit, und auf andere Märkte, in den Abend des Markts hinein. (…)
   Die Verlängerung des Markts in den Abend hinein ist ein kleines Welttheater (...). Kunischs Antihelden, von keiner New Economy angekränkelt, leben nach dem Motto „Nichts entlastet vom Leben mehr als das Leben“ (Umberto Saba). Und alle Fragen, die sie sich stellen, prallen an dieser elementaren Tatsache ab. (…) Robert Walser hätte an Kunisch seine Freude gehabt.
Ilma Rakusa, Die Zeit, 28.12.2006
Eine solche Ordnung namens Markt hat nicht nur eine Struktur, sie hat auch ein Leben. Der Markt ist eine handfeste Veranstaltung aus Gerüchen und Gerüchten, Geschichten und Geschäften. Was sich Tag für Tag und Stand für Stand auf dem Markt zuträgt, ist die immergleiche, von unsichtbarer Hand gelenkte Choreographie von Handel und Wandel.
   Auf beides, auf die abstrakte wie auf die sinnliche Seite des Markts, hält Kunischs Roman ein waches Auge. (….) Kunisch zieht uns in das Milieu einer literarischen Phantastik hinein, die einen von Ferne an den magischen Realismus Ernst Jüngers oder an manche Imaginationen im Prosawerk von Botho Strauß erinnert. Abgedreht wirkt das alles, trotz der taghellen Marktbeleuchtung, abgetönt und wie geträumt.
Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung, 09.01.2007