
Rilke und der Faschismus
Seit der ersten Entdeckung der politischen Briefe, die Rilke mit der Herzogin Aurelia („Lella“) Gallarati-Scotti zwischen 1921 und 1926 wechselte, wird von vielen, allzu ergebenen Rilke-Anhängern versucht, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Darum gibt es, über siebzig Jahre nach der Entdeckung, noch heute keine ordentliche deutschsprachige Ausgabe dieser Briefe und Rilkes Beweggründe für seine überraschende Stellungnahme für den italienischen Faschismus und Mussolini blieben über Jahrzehnte weitgehend unerforscht. Ein erster Ansatz dazu vor mehr als fünfzig Jahren wurde schnell unterdrückt und ein vorurteilsfreier Umgang mit den Positionen Rilkes damit verhindert.
Noch eindeutiger ist die bisherige Missachtung der Rolle von Lella Gallarati-Scotti, die durch ihren mehrmaligen entschiedenen Widerspruch die nach dem Sturz der Münchner Räterepublik radikal rechte Geschichtsphilosophie Rilkes erst sichtbar macht und einen Blick dafür erzeugt, wo diese auch in seinen literarischen Werken - von ersten Veröffentlichungen bis hin zu den Duineser Elegien und den Sonetten an Orpheus - spürbar ist.
Lellas klare antifaschistische Position, ihre Gründe dafür und damit ihre dynamische Rolle im Briefwechsel werden hier zum ersten Mal wirklich untersucht. Trotz Ansätzen, Lellas Position zu begreifen, verweigert sich Rilke immer wieder. Zu einem möglicherweise klärenden persönlichen Gespräch, zu dem Lella Rilke gegen Ende des Briefwechsels noch einmal einlädt, kommt es nicht mehr.
Das Flimmern der Raubtierfelle bietet einen überraschenden neuen Blick auf Rilke, der hier ohne Scheuklappen analysiert wird. Das „Raubtier“, als klassisches Leitbild autoritärer Führer, ist eine der schillerndsten und aufschlussreichsten Chiffren, die Rilke wie Mussolini mit Friedrich Nietzsche, einem ihrer wichtigsten gemeinsamen Ahnherren verbindet.